Interview mit Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands
Liebe Frau Fleischmann, zuhören kann doch jeder, wieso Zuhören? Was ist so wichtig daran?
Simone Fleischmann: Zuhören ist der Schlüssel zum Erfolg in allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Es ist verantwortlich für das Verhältnis zwischen Chef*in und Mitarbeitenden, für die Atmosphäre im privaten Setting und Grundlage für funktionierende Beziehungen zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen. Wenn ich einem anderen Menschen aktiv zuhöre, schenke ich ihm meine Aufmerksamkeit und nehme mir die Zeit, seine Anliegen verstehen zu können. Das scheint heutzutage immer schwieriger zu werden durch Zeitnot und permanente Ablenkung im Alltag. Informationsüberfluss, Hektik und Stress können häufig dazu führen, dass das aktive Zuhören zu kurz kommt oder nur mit „einem Ohr“ zugehört wird. Dabei ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen. Erstens kann ich einen Menschen, seine Bedürfnisse, seine Lebenswelt nur verstehen, wenn ich ihm aktiv zuhöre. Zweitens fühlen sich Menschen, denen zugehört wird, wertgeschätzt und verstanden. Achtsames Zuhören ist somit der Garant für das Wachsen einer starken Beziehung. Egal, ob im Klassenzimmer, in der Familie oder in der Politik.
Was bedeutet zuhören können für die Demokratie so?
Simone Fleischmann: Demokratie lebt davon, dass wir uns zuhören. Das ist in erster Linie eine Haltung. Wenn ich jemand aktiv zuhöre, zeige ich Interesse, Respekt und zeige mich meinem Gegenüber offen, zugewandt und wertfrei. Missverständnissen und Streit kann so vorbeugt werden. Wir erhalten Informationen, die Vorurteile abbauen. Wir erfahren mehr und können selbst oder gemeinsam bessere Lösungen finden und Entscheidungen treffen. Wir können die Bedürfnisse und Sichtweisen des anderen besser verstehen. Wir entwickeln dadurch letztlich Empathie. In einer demokratischen Gesellschaft ist es deshalb von großer Bedeutung, eine Haltung des Zuhörens zu pflegen. Gerade wenn wir unterschiedlicher Meinungen sind, aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen oder in verschiedenen politischen Parteien aktiv sind.
Wie ist Zuhören eingebettet im Lehrplan PLUS an den Grundschulen? Wo sind die Stellschrauben?
Simone Fleischmann: Eine Haltung des Zuhörens und auch des Zuhören-Könnens sollte bereits von klein auf erlernt und gelebt werden. Im Lehrplan PLUS ist das Thema Zuhören an vielen Stellen vorhanden. Das beginnt bereits bei den Kindern in der ersten Klasse. Und das ist gut so. „Sprechen und Zuhören“ heißt beispielsweise der erste Lernbereich im Fach Deutsch. Die Kinder lernen, wie sie ihre Aufmerksamkeit lenken und so Aussagen oder wichtige Details verstehen. Sie nehmen Unverstandenes zum Anlass, um gezielt nachzufragen. Sie lernen verstehend zuzuhören. Das Ganze baut im Laufe der Grundschulzeit weiter aufeinander auf und setzt sich in den weiterführenden Schulen fort. Das ist übrigens Teil des übergreifenden Bildungsziels „Alltagskompetenz“ im Lehrplan. Klar ist: nur durch permanentes Erlernen und Erleben können die jungen Menschen eine Haltung entwickeln. Das geht nicht mal eben schnell in einer Projektwoche Alltagskompetenz.
Was ist denn Ihr schönstes Zuhör-Erlebnis? Erzählen Sie doch mal!
Simone Fleischmann: Ich fand es als Kind immer am schönsten, wenn sich die ganze Familie am Sonntag Zeit genommen hat um, z.B. beim Kaffee im Garten, zu hören, was denn grad so los ist im Leben des anderen. Ich fand es wunderbar zu hören, was meine nächsten Menschen bewegt, wie es ihnen geht oder was sie vielleicht auch bedrückt. Das hat mich total interessiert. Und die anderen haben sich für meine Sachen interessiert. Und das ist einfach ein wohltuendes Gefühl.
Das Interview führte für die Stiftung Zuhören Claudia Stamm.